Finanztip: „Riester-Rente wurde zum Goldesel der Versicherer und Fondsgesellschaften“
9.9.2024 – Um die noch 15,5 Millionen Riester-Verträge hierzulande steht es nicht gut, warnen die Autoren einer aktuellen Studie des Ratgeberportals Finanztip. Obwohl die staatlich geförderte Rente oft mager ausfällt, sollten Kunden aber nicht vorschnell kündigen.
Die Riester-Rente ist „nicht einfach nur gescheitert. Sie ist ein Desaster”, erklärt Martin Klotz, Experte für das Thema Altersvorsorge bei der Finanztip Verbraucherinformation GmbH.
Dem Berliner Ratgeberportal liegen laut einer aktuellen Pressemitteilung exklusive Zahlen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS), des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) und der Deutschen Rentenversicherung (DRV) vor.
Finanztip zieht eine „verheerende Bilanz“
- Martin Klotz (Bild: Finanztip)
Demnach ergebe sich eine „verheerende Bilanz“ für die staatlich geförderte private Altersvorsorge, die vor mehr als 20 Jahren eingeführt wurde, um die Versorgungslücke aus der parallel beschlossenen Rentenkürzung auszugleichen.
In den mehr als zwei Jahrzehnten bis Ende 2023 wurden in Deutschland insgesamt rund 20 Millionen Verträge abgeschlossen. Mit 4,6 Millionen existiert allerdings knapp jeder Vierte davon heute nicht mehr, berechneten die Finanztip-Studienautoren aus den Zahlen des BMAS, BMF und der DRV.
„Das sind alles jeweils förderschädliche Vertragsbeendigungen, also aktive Kündigungen von Sparern“, erklärt eine Finanztip-Sprecherin auf Anfrage des VersicherungsJournals. Abgänge durch Todesfälle in der Beitrags- oder Auszahlphase zählen hier ebenso nicht mitherein wie auch die einmalig ausgezahlten Kleinbetragsrenten.
Millionen Riester-Verträge werden nicht mehr bespart
Ende 2023 waren von den noch rund 15,5 Millionen verbliebenen Riester-Verträgen 10,3 Millionen Versicherungen, 3,2 Millionen Fondssparpläne, 1,6 Millionen Eigenheimrenten und eine halbe Million Banksparpläne (VersicherungsJournal 28.5.2024).
Laut BMAS war Ende 2022 aber eine Million davon in der Rentenphase und ein Fünftel bis ein Viertel der Verträge wird nicht mehr bespart. Letzteres entspräche einer Zahl von rund drei bis vier Millionen Menschen, die Kürzungen bei der gesetzlichen Rente nicht mit ihren Riester-Verträgen ausgleichen könnten.
Laut Finanztip dürfte die Dunkelziffer aber noch höher liegen, nämlich bei schätzungsweise bis zu einem Drittel aller Verträge.
Neun Millionen Riester-Sparer erhielten 2022 die Grundzulage
Denn laut einer vorläufigen Statistik des BMAS förderte der Staat im Jahr 2022 nur knapp 9,1 Millionen Menschen mit der Riester-Grundzulage. Zusammen mit den steuerlich geförderten Personen komme man auf rund 9,2 Millionen aktive Riester-Sparer.
Allerdings betonen die Finanztip-Experten auch, dass man diese Kundenzahl nicht direkt ins Verhältnis zu den ungefähr 14,9 Millionen noch in der Ansparphase befindlichen Verträgen setzen darf.
Denn jeder Riester-Kunde kann zwei Verträge haben, auf welche die staatliche Förderung aufgeteilt wird. Und darüber hinaus kann er noch weitere Verträge besitzen, die nicht gefördert werden.
Etwa fünf Millionen stillgelegte Riester-Verträge
Doch mit Blick auf das in der BMAS-Statistik für das Jahr 2022 ausgewiesene Verhältnis von 1,06 Verträgen pro Person verteilen sich die insgesamt 14,9 Millionen Sparverträge auf rund 14 Millionen Menschen.
Abzüglich der rund 9,2 Millionen geförderten Personen ergibt sich eine Zahl von 4,8 Millionen nicht geförderte Riester-Sparern im Jahr 2022, was ungefähr jedem dritten Vertrag entspricht. Berücksichtigen müsse man zwar auch noch einige Verträge ohne Zulagenantrag sowie Verträge von nicht mehr förderfähigen Personen.
BMAS, BMF und DRV konnten die jeweiligen Fallzahlen auf Anfrage allerdings nicht beziffern.
Die Kündigung eines Riester-Vertrags kommt Sparern teuer zu stehen.
Martin Klotz, Finanztip
Knapp die Hälfte der Riester-Verträge erfüllt ihren Zweck nicht
„Nimmt man die gekündigten und die stillgelegten Verträge zusammen, erfüllen knapp die Hälfte aller abgeschlossenen Verträge diesen Zweck nicht”, stellt Klotz fest.
Enttäuschten Kunden rät Finanztip, nur in Ausnahmefällen zum finalen Schlussstrich. Denn: „Die Kündigung eines Riester-Vertrags kommt Sparern teuer zu stehen. Zum einen müssen sie alle erhaltenen Zulagen und Steuervorteile zurückzahlen“, warnt Klotz. Im Schnitt der vergangenen drei Jahre seien das rund 1.900 Euro pro Vertrag gewesen.
„Zum anderen behalten die Anbieter einen Teil des eingezahlten Geldes ohnehin, und zwar die Provisionen sowie die Verwaltungs- und Fondskosten.”
Riester-Anbieter erhalten Milliarden-Subventionen
Profitiert hätten vom Riestern vor allem die Anbieter, kritisiert Klotz: Nach Finanztip-Berechnungen flossen bis Ende 2022 knapp 1,8 Milliarden Euro aus der Staatskasse direkt an Versicherungsunternehmen und Fondsgesellschaften.
Denn laut BMAS-Förderstatistik gingen bis Ende 2022 43,2 Milliarden Euro als Zulagen in Riester-Verträge. Darunter rund sind 30,4 Milliarden Euro an Versicherer und rund 8,1 Milliarden Euro an Fondsgesellschaften.
Zusammen verwalten sie mehr als 85 Prozent aller Riester-Verträge. Die durchschnittlichen Abschluss- und Verwaltungskosten betragen laut Finanztip fünf Prozent bei Versicherern und vier Prozent bei Fondsgesellschaften. Daraus ergeben sich Zahlungen in Höhe von 1,5 beziehungsweise 0,3 Milliarden Euro.
Der Versicherungswirtschaft hat dagegen immer wieder betont, dass durch die komplizierte Verwaltung dieser Policen ein erheblicher Mehraufwand bestehe.
So wurde das Modell Riester-Rente zum Goldesel der Versicherer und Fondsgesellschaften.
Martin Klotz, Finanztip
Kosten und Provisionen auch auf die Zulagen
„Die Anbieter durften Kosten und Provisionen sogar auf die staatlichen Zulagen berechnen. So wurde das Modell Riester-Rente zum Goldesel der Versicherer und Fondsgesellschaften“, so Klotz.
Die Bruttorenten fielen hingegen eher mager aus: Laut BMAS-Auszahlungsstatistik (23.4.2024) erhielten 2022 rund eine Million Riester-Sparer Auszahlungen aus ihren Verträgen, davon rund 80 Prozent eine lebenslange Altersrente. In knapp drei Viertel der Fälle lag sie allerdings bei weniger als 100 Euro brutto pro Monat.
Nur rund ein Zehntel der Riester-Sparer, die 2022 in die Rentenphase gewechselt sind, haben sich einen Teil des Kapitals auszahlen lassen.
Riester-Verträge mit relativ guten Konditionen sollten Verbraucher weiter besparen.
Martin Klotz, Finanztip
Riester-Kunden sollten nicht vorschnell kündigen
„Dabei ist genau das die beste Option, möglichst früh viel vom eingezahlten Geld zurückzubekommen“, erklärt Klotz. Von vorschnellen Kündigungen rät er jedoch ab. Um nicht zusätzlich Geld zu verlieren, sollten unzufriedene Sparer ihren Vertrag stattdessen stilllegen. „Dann bleibt zumindest die staatliche Förderung erhalten, die Sparer sonst zurückzahlen müssten.“
Außerdem müssen die Anbieter für die Rente mindestens den Betrag zur Verfügung stellen, den die Kunden selbst eingezahlt haben – plus die staatlichen Zulagen. Und „alte Riester-Verträge mit relativ guten Konditionen sollten Verbraucher weiter besparen“, empfiehlt Klotz.
Auf Anfrage des VersicherungsJournal führt Klotz hierzu weiter aus, dass Kunden gute Verträge beispielsweise am Abschlussdatum erkennen: Erträge von Lebensversicherungen müssen nicht versteuert werden, wenn sie vor 2005 abgeschlossen wurden.
Und der Höchstrechnungszins lag bei den Verträgen der ersten Generation noch bei 3,25 Prozent. „Das waren in der Niedrigzinsphase gute Verträge mit realer Rendite.“ Bei fondsgebundenen Versicherungen hingegen sei auf möglichst geringe Effektivkosten zu achten, um den Vertrag zu bewerten. Grundsätzlich lohne Riestern bei geringem Einkommen und vielen Kindern.
Riester soll bleiben
Über die staatlich geförderte private Altersversorgung wird schon lange diskutiert. Die Regierungsparteien haben in ihrem Koalitionsvertrag eine Neuregelung vereinbart (25.11.2021).
Inzwischen werden die Pläne konkreter (28.8.2024). Demnach geht 2026 ein Altersvorsorgedepot an den Start. Das soll flexibler und einfacher werden. Optional können die Bürger auf Garantien verzichten. Riester-Sparer sollen auf 80 Prozent Beitragsgarantie reduzieren können.