Gescheiterte Tarifrunde: Wie sich Gewerkschaft und Arbeitgeber nun positionieren

28.5.2025 – Nach dem Scheitern der dritten Tarifrunde zwischen dem Arbeitgeberverband der Versicherer und den Gewerkschaften Verdi und DBV sind die Fronten verhärtet. Verdi reagiert erneut mit Warnstreiks – der Arbeitgeberverband hatte fest mit einer Einigung gerechnet und beklagt eine fehlende Kommunikationsbereitschaft der Dienstleistungsgewerkschaft. Auf beiden Seiten ist Ratlosigkeit spürbar.

Am 23. Mai 2025 trafen sich Arbeitgeber und Gewerkschaften zur dritten Runde der Tarifverhandlungen für die rund 183.000 Beschäftigten der privaten Versicherungswirtschaft – doch ohne Ergebnis. Die Gespräche wurden ergebnislos abgebrochen, ein neuer Termin steht bislang nicht fest (VersicherungsJournal 23.5.2025).

Die Arbeitgeberseite wird vom Arbeitgeberverband der Versicherungsunternehmen in Deutschland e.V. (AGV) vertreten. Für die Beschäftigten verhandeln die Ver.di – Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft sowie der Deutsche Bankangestellten-Verband e.V. (DBV) – Gewerkschaft der Finanzdienstleister.

Das Arbeitgeberangebot liegt deutlich unter den Abschlüssen vergleichbarer Branchen.

Ute Beese, Verhandlungsführerin DBV

DBV – verhandlungsbereit, aber auch enttäuscht

Ute Beese (Bild: Peter Himsel)
Ute Beese (Bild: Peter Himsel)

Während Verdi das Angebot der Arbeitgeber am Freitag als „unzureichend“ ablehnte, zeigte sich der DBV grundsätzlich verhandlungsbereit. „Für die Beschäftigten wäre ein zeitnaher Abschluss sehr wichtig gewesen. Die Arbeitgeberseite teilte uns mit, dass der dritte Verhandlungspartner noch Abstimmungsbedarf habe“, so DBV-Verhandlungsführerin Ute Beese.

Gleichzeitig äußerte sie aber deutliche Kritik am Vorschlag des AGV: „Das Arbeitgeberangebot – bei ähnlicher Ausgangsbasis und vergleichbaren Rahmenbedingungen – liegt doch deutlich unter den Abschlüssen etwa bei den privaten Banken oder den Volks- und Raiffeisenbanken“, bemängelt Beese.

Zum Vergleich: Die privaten Banken hatten sich auf eine Gehaltserhöhung von insgesamt 10,5 Prozent in 28 Monaten verständigt, davon allein 5,5 Prozent im ersten Jahr. Die Versicherer bieten aktuell im selben Zeitraum 8,1 Prozent mehr Lohn an, davon 4,8 Prozent im ersten Jahr.

„Wir können nicht nachvollziehen, warum es Versicherern nicht möglich sein soll, zumindest ein ähnliches – oder aufgrund des späteren Abschlusses sogar leicht höheres – Volumen zu vereinbaren“, so die DBV-Verhandlerin. „Wir müssen den Abbruch erst noch einmal für uns bewerten und befinden uns zum Thema Streik noch in der Abstimmung“, berichtet sie.

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AGV verwundert über Abbruch der Gespräche

Sebastian Hopfner (Bild: AGV)
Sebastian Hopfner (Bild: AGV)

Der Arbeitgeberverband hatte sein Angebot aus der zweiten Verhandlungsrunde deutlich nachgebessert, wie Dr. Sebastian Hopfner, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des AGV und Fachanwalt für Arbeitsrecht, dem VersicherungsJournal berichtet. Verdi habe demnach eine verkürzte Laufzeit des Tarifvertrags sowie ein höheres Lohnplus im ersten Jahr gefordert.

„Wir haben eine deutlich verkürzte Laufzeit angeboten – 28 Monate statt 35. Wir haben deutlich höhere Tarifsteigerungen angeboten. In der ersten Stufe haben wir das Angebot um 1,2 Prozent auf 4,8 Prozent verbessert. Wir haben das Inkrafttreten der ersten Tarifsteigerung auf den 1. August vorgezogen. Wir haben eine Steigerung der Auszubildendenvergütungen um 220 Euro angeboten, was rund 15 Prozent entspricht“, so Hopfner.

Das verbesserte Angebot habe man auch deshalb vorgelegt, weil Verdi im Vorfeld signalisiert habe, zu einem Abschluss bereit zu sein, erklärt er weiter.

„Verdi brach die Verhandlungen ohne jede Vorankündigung sang- und klanglos ab. Das war überraschend – denn die Gewerkschaft hatte, in Kenntnis unseres ersten Angebots, zu Beginn der Runde klar signalisiert, „hier und heute“ zu einem Abschluss kommen zu wollen. Eine vierte Verhandlungsrunde sei nicht notwendig“, sagt der Verbandsfunktionär.

Es kann nicht sein, dass eine Branche regelrecht floriert – und die Beschäftigten kaum beteiligt werden.

Martina Grundler, Verdi

Reallohnverluste von acht Prozent?

Verdi war mit der Forderung in die Verhandlungen gestartet, die Löhne innerhalb eines Jahres um zwölf Prozent zu erhöhen – und hält weiterhin daran fest. Die Ablehnung des aktuellen Angebots begründet die Gewerkschaft damit, dass die Einkommensverluste der vergangenen Jahre damit nicht ausgeglichen würden.

„Ausschlaggebender Punkt für die Ablehnung ist die Tatsache, dass es in den vergangenen Jahren – im Gegensatz zu vielen anderen Branchen – keinen Inflationsausgleich gab. Und das trotz der stark gestiegenen Lebenshaltungskosten infolge des russischen Überfalls auf die Ukraine und der Corona-Pandemie. Hier geht es bereits jetzt um einen Rückstand von gut acht Prozent“, heißt es von Verdi gegenüber dem VersicherungsJournal.

Verweis auf Rekordgewinne

Martina Grundler (Bild: Julia Carola Pohle)
Martina Grundler (Bild: Julia Carola Pohle)

Martina Grundler, die für Verdi die Verhandlungen führt, erklärt in einem Video auf der Kampagenseite https://soll-es-so-bleiben.de/, dass die Tarifkommission lange über das Angebot beraten habe – und die Entscheidung für ein Nein nicht leichtgefallen sei.

„Wir sind fest davon überzeugt, dass das, was uns vorgelegt worden ist, besser geworden ist. Dass wir einen Fortschritt gemacht haben. Aber das Angebot reicht nicht aus, um sicherzustellen, dass die Versicherungsbeschäftigten fair an der allgemeinen Lohnentwicklung teilhaben. Und es ist vor allem auch kein faires Angebot vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Lage der Branche“, so Grundler.

Grundler verwies auf die Rekordgewinne einiger Versicherer in den letzten Jahren. „Es kann nicht sein, dass eine Branche regelrecht floriert – und die Beschäftigten an diesem Erfolg kaum beteiligt werden“, betont die Gewerkschafterin.

Gab es tatsächlich keinen Lohnausgleich?

Doch dass die Beschäftigten tatsächlich so hohe Reallohnverluste erlitten haben, stellt AGV-Verhandlungsführer Sebastian Hopfner infrage. Aus seiner Sicht ist es nicht korrekt, dass es keinen Ausgleich für die gestiegene Inflation gegeben habe.

Es ist schlicht falsch, dass es keinen Inflationsausgleich gegeben hat.

Sebastian Hopfner, AGV

„Die Versicherungswirtschaft hat 2.000 Euro von möglichen 3.000 Euro steuerfreier Inflationsausgleichsprämie fix per Tarifvertrag vereinbart. Bezüglich der weiteren 1.000 Euro gab es eine Empfehlung des AGV, welcher rund 90 Prozent der Mitgliedsunternehmen vollständig gefolgt sind“, erklärt der Verbandsfunktionär.

Auch die Tariferhöhung für 2024 in Höhe von 3,0 Prozent habe bereits über der Inflationsrate des Jahres gelegen, betont er. „Der aktuelle Vorschlag des AGV hätte darüber hinaus eine weitere erhebliche Kompensation der Inflationsentwicklung der Jahre 2022 und 2023 bedeutet“, so Hopfner.

AGV-Kritik an der Verhandlungsführung

Hopfner vermutet andere Gründe für die Verhandlungsführung der Arbeitnehmerseite. „Verdi hat vor der Tarifrunde Erwartungshaltungen geschürt, die zwangsläufig die Gewerkschaft nun unter einen starken Erfolgsdruck setzen. Die Geister, die man rief, sind nun schwer einzufangen“, positioniert er sich.

„Außerdem hat man aus vergangenen Runden falsche Schlüsse in Bezug auf den richtigen Verhandlungsmodus gezogen. Es ist nicht nur üblich, sondern bei solchen Verhandlungen zwingend notwendig, auch einmal in kleineren Gruppen zu sprechen und zu sondieren. Verdi war hierzu nicht bereit. Es entstand der Eindruck, als wolle man Verhandlungsformate, die zu einem Erfolg führen könnten, möglichst vermeiden“, sagt der Anwalt.

Stattdessen habe sich Verdi am Freitag um 21.30 Uhr in seine Große Tarifkommission (GTK) zurückgezogen und den versammelten Parteivorstand bis halb zwei Uhr nachts warten lassen – volle vier Stunden, berichtet er. „Ohne jedes vorherige Signal wurde uns dann mitgeteilt, dass die GTK unseren zuletzt unterbreiteten Vorschlag ablehnt und man nicht weiter verhandeln wolle“, so Hopfner.

Hopfner appelliert an die Gegenseite: „Dieses Vorgehen von Verdi ist beispiellos. Als derjenige Arbeitgeberverband, der für den höchsten Grad an Tarifbindung in einer privatwirtschaftlichen Branche sorgt, würden wir uns von unserem Sozialpartner einen anderen Umgang wünschen“, sagt er.

Wie geht es nun weiter?

Auf die Frage hin, wie er nun drohenden Warnstreiks oder gar einem unbefristeten Streik entgegenblicke, bleibt Hopfner gelassen. Weitere Arbeitskampfmaßnahmen würden die Verhandlungslinie des AGV nicht beeinflussen.

„Wir sprechen insgesamt von einem vollkommen normalen Streikgeschehen. Die Angestellten wissen um die hohe Arbeitsplatzsicherheit in unserer Branche. Wir sind uns sehr sicher, dass wir mit unserem zuletzt unterbreiteten Angebot die Erwartungshaltung in den Belegschaften angemessen bedient haben“, so Hopfner.

Demgegenüber kündigte Verdi an, den Druck auf die Arbeitgeber zu erhöhen und zu weiteren Warnstreiks aufzurufen. Ein erster Warnstreik findet bereits am 28. Mai in Stuttgart statt, wie aus einem Streikaufruf der Gewerkschaft hervorgeht. Betroffen sind unter anderem die Württembergische Gemeinde-Versicherung a.G., die SV Sparkassenversicherungen sowie mehrere Töchter des Allianz-Konzerns.

Grundsätzlich äußerten beide Seiten Verhandlungsbereitschaft. „Verdi ist vom Verhandlungstisch aufgestanden. Es ist daher ihre Sache zu entscheiden, ob man an den Verhandlungstisch zurückkehren will. Der AGV lässt die Türe offen. Wir haben für kommenden Montag mit Verdi ein Gespräch vereinbart, in dem die weitere Vorgehensweise intensiv erörtert werden soll“, so Hopfner.

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