Kampf um Fachkräfte: Wie die Versicherer hier mitmischen
17.3.2023 Knapp ein Drittel der Beschäftigten sitzt auf gepackten Koffern, bereit für einen neuen Job. Die Assekuranz kann bei Mitarbeitern und Kandidaten zwar mit guten Argumenten wie hohen Gehältern und Arbeitsplatzsicherheit punkten. Trotzdem ist der vielzitierte Fachkräftemangel längst in der Versicherungswirtschaft angekommen wie Aussagen von Debeka und Signal Iduna belegen.
Nach der Coronakrise ist die Stimmung in deutschen Unternehmen nicht gerade großartig. 28 Prozent der Beschäftigten planen derzeit, ihren Job zu wechseln. Als Hauptgrund nennen sie Konflikte mit ihrem jeweiligen Vorgesetzten.
Zu diesem Ergebnis kommt der „Jobwechsel-Kompass 2023“, eine Umfrage der Stellenanzeigen.de GmbH & Co. KG im Auftrag der Personalberatung Königsteiner Agentur GmbH. Für den Stimmungsmesser befragte das Portal bundesweit 1.055 Beschäftigte.
Wenn das Verhältnis zum Chef schlecht ist
Über die Hälfte der wechselbereiten Arbeitnehmer (54 Prozent) sind unzufrieden mit ihrer aktuellen Führungskraft. 59 Prozent haben außerdem das Gefühl, dass die Chefetage nicht bedingungslos hinter ihnen stehe. Das Verhältnis zum Vorgesetzten sehen die Personalberater von Königsteiner als „wichtigen Indikator für die Zufriedenheit mit dem Arbeitgeber“.
50 Prozent der Befragten gaben an, dass es für sie ein Anstoß sei, wenn die Handlungsweise ihres Chefs nicht zu den eigenen Erwartungen passt. Vor allem Akademiker ziehen dann Konsequenzen und suchen sich einen neuen Arbeitgeber.
55 Prozent der Mitarbeiter mit Studienabschluss nannten das Verhältnis zur Führungskraft als denkbaren Kündigungsgrund, während 43 Prozent der Nichtakademiker dieser Aussage zustimmten.
Beschäftigte werden selbstbewusster
Gerade von den jüngeren Arbeitnehmern von 18 bis 29 Jahren planen 42 Prozent den Sprung zu einem neuen Unternehmen. Angst vor einem Wechsel haben die Wenigsten: 63 Prozent der Befragten gehen davon aus, gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu haben.
Besonders selbstbewusst zeigen sich Mitarbeiter, die bereits auf gepackten Koffern sitzen. 71 Prozent rechnen nach der Bewerbungsphase mit Zusagen.
Wir haben im War of Talents Fortschritte erarbeitet.
Dr. Michael Niebler, geschäftsführender Vorstand des AGV
Assekuranz arbeitet an ihrem Image
Im Hinblick auf die Akquise und Bindung von Fachkräften sind das für Arbeitgeber keine guten Nachrichten. Auch die Versicherungswirtschaft steigt in den Ring, wenn es um gut ausgebildete Kandidaten geht. Argumente der Assekuranz sind hier seit der Pandemie vor allem moderne Arbeitsmodelle.
Dank der flexiblen Angebote zur Heimarbeit bessert die Branche ihr in der Öffentlichkeit als verstaubt geltendes Image auf. „Wir haben im War of Talents Fortschritte erarbeitet.“ Das sagte Dr. Michael Niebler, geschäftsführender Vorstand des AGV, auf einer Tagung (VersicherungsJournal 17.3.2022).
Über die Gemütslage der Belegschaft entscheidet aber auch die Kommunikation und die Kultur des jeweiligen Unternehmens, wie die Studie „Präsenz, Homeoffice oder Hybrid? Arbeitssituation und Mitarbeiterbindung in Deutschland“ der Heute und Morgen GmbH belegte (7.10.2022).
Bei den Gehältern spielt die Finanzbranche ganz vorne mit
Bei den Gehältern kann die Assekuranz im Wettbewerb um Fachkräfte durchaus mithalten, zumindest was die Vergütung männlicher Angestellter betrifft. Mitarbeiter aus „Bankwesen, Finanzen und Versicherung“ verdienen ohne akademische Ausbildung 45.623 Euro im Jahr, mit Studienabschluss sind es 62.894 Euro.
Männer bringen in der Finanzbranche 54.940 Euro nach Haus, Frauen dagegen nur 43.848 Euro (28.2.2023).
2022 erzielten Versicherer Top-Bewertungen ihrer Mitarbeiter
Wie die Stimmung unter den Versicherungs-Mitarbeitern ist, zeigt eine repräsentative Umfrage, die Kantar Deutschland im Auftrag des Arbeitgeberverbands der Versicherungs-Unternehmen in Deutschland e.V. (AGV) einmal im Jahr durchführt. 2022 bekamen die Unternehmen Bestnoten, sie punkteten bei ihren Belegschaften auch mit einer langfristigen Perspektive.
Für die Auswertung befragten die Marktforscher im Januar über 900 Angestellte (bis 2021: 800), die in verschiedenen Bereichen tätig sind (wie in den Sparten Kranken, Leben, Schaden-/Unfall oder in der Holding). Die Mitarbeiterumfrage führt der Verband mittlerweile seit 2017 durch.
2023, wie auch in der Vorgängeruntersuchung (2.7.2021), sind 89 Prozent der Angestellten, die für Versicherer arbeiten, mit ihrem Job „sehr zufrieden“. „Die langfristige Arbeitsplatzsicherheit wird historisch gut bewertet. 92 Prozent der Beschäftigten glaubt aktuell, dass ihre Stelle langfristig erhalten bleibt“, so der AGV auf Nachfrage.
Fast Dreiviertel der Angestellten (72 Prozent) würden sich bei ihrem aktuellen Arbeitgeber wieder bewerben und zwei Drittel der Teilnehmer (66 Prozent) würden ihn weiterempfehlen. Die detaillierte Auswertung der aktuellen Befragung läuft noch. Die Ergebnisse will der Verband im Sommer veröffentlichen.
Freisetzen würde ich heutzutage niemanden mehr.
Ulrich Leitermann, Vorstandsvorsitzender der Signal Iduna
Signal Iduna sieht Beschäftigte als „wichtigste Ressource“
Trotz durchaus schlagkräftiger Argumente gegenüber Bewerbern ist der Assekuranz durchaus bewusst, dass auch sie um Kandidaten kämpfen muss. Das betrifft nicht nur die Elite, die einen Abschluss in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik (MINT) in der Tasche hat, sondern auch Auszubildende oder Sachbearbeiter.
So erklärte Ulrich Leitermann, Vorsitzender der Vorstände der Signal Iduna Versicherungsgruppe, auf der Bilanzpressekonferenz: „Ich sage bewusst Arbeitskräftemangel, denn es geht um viel mehr als nur Fachkräfte.“ Mitarbeiter seien die wichtigste Ressource der Zukunft, daran gebe keinen Zweifel.
Trotz fortschreitender Digitalisierung bei dem Versicherer (9.6.2022) gab Leitermann fast eine Arbeitsplatzgarantie ab. „Freisetzen würde ich heutzutage niemanden mehr“, so der Vorstandschef (1.3.2023). „Diversität“ spiele im Unternehmen ebenfalls eine große Rolle. Zudem sei die Förderung von Frauen mehr in den Fokus gerückt.
Debeka hat 400 Mitarbeiter im Außendienst verloren
Auch die Debeka Versicherungen analysieren das Thema – und haben dazu konkreten Anlass. Der Rückgang von 400 Mitarbeitern im angestellten Außendienst durch Abgang und Ruhestand soll sich 2023 nicht mehr wiederholen, versicherten die Koblenzer auf ihrer Presseveranstaltung (8.3.2023).
Laut Vertriebs- und Marketingvorstand Paul Stein ist der Kampf um Vermittler deutlich härter geworden. Dabei würde mit kurzfristigen finanziellen Zuwendungen versucht, Mitarbeiter zu gewinnen. Das lehnt die Debeka nach eigener Aussage aber ab.
Die Zahl der Beschäftigten bei den Versicherungs-Unternehmen ist 2022 zum vierten Mal in Folge gestiegen – wenn auch nur minimal um 0,05 Prozent auf 204.200, wie die aktuelle Erhebung des AGV zeigt (16.3.2023).
Ein Blick auf die Beschäftigtengruppen zeigt unterschiedliche Entwicklungen. So erhöhte sich die Zahl der Innendienstmitarbeiter um ein Prozent oder 1.600 Personen auf 164.300. Bei den Außendienstlern war hingegen der 13. Rückgang in Folge zu beobachten. Dieser fiel mit 4,5 Prozent (minus 1.400 auf einen neuen Tiefstand von 29.500 Mitarbeitern) erneut doppelt so stark aus wie im Jahr zuvor (14.3.2022).