Pandemieklausel unwirksam – Reiseversicherer muss Coronapatienten entschädigen

17.7.2025 – Die Union Reiseversicherung zahlt nach einem Vergleich mit der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen nun doch an Versicherte, deren Ansprüche wegen einer Pandemieklausel zunächst ausgeschlossen worden waren. Das OLG München hatte zuvor in einem Hinweisbeschluss die Einbindung der Klausel in das Vertragswerk als handwerklich mangelhaft kritisiert.

Die URV – Union Reiseversicherung AG verwendete ab 2021 in ihren AVB eine Klausel, wonach „Schäden durch Pandemien“ für alle Reiseversicherungen ausgeschlossen seien. Mit Verweis auf diese Klausel verweigerte der Versicherer die Kostenübernahme, wenn Kunden eine Reise wegen einer Covid-19-Erkrankung stornieren mussten oder im Ausland medizinisch behandelt wurden.

Doch nun haben die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen e.V. und der Versicherer vor dem Oberlandesgericht München einen Vergleich geschlossen. Der sichert den betroffenen Personen zu, dass ihre Schäden nachträglich doch noch bearbeitet werden. Das teilen die Verbraucherschützer gegenüber der Presse mit.

Mit dem Vergleich haben wir erreicht, dass die Union Reiseversicherung in allen abgelehnten Versicherungsfällen die Schadenprüfung wieder aktiv aufnimmt, …

Rita Reichard, Verbraucherzentrale NRW

OLG München sieht Verbraucherzentrale im Recht

Zuvor hatte das OLG München mit einem Hinweisbeschluss (PDF, 716 KB) vom 21. Januar 2025 (39 U 6590/22) darauf hingewiesen, dass die Klausel in dem Vertragswerk voraussichtlich nicht den Anforderungen des Transparenzgebots gemäß § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB genügt. Daher ist sie als unwirksam anzusehen.

Nachdem die Verbraucherzentrale den Versicherer entsprechend abgemahnt hatte, dürfte ihr somit ein Unterlassungsanspruch zustehen. Der zuständige Zivilsenat empfahl beiden Streitparteien, sich im Wege eines Vergleichs zu einigen, um weitere Kosten zu vermeiden.

„Mit dem geschlossenen Vergleich haben wir erreicht, dass die Union Reiseversicherung in allen abgelehnten Versicherungsfällen die Schadenprüfung wieder aktiv aufnimmt, bei denen sie sich auf den Pandemieausschluss berufen hatte“, berichtet Rita Reichard, Juristin bei der Verbraucherzentrale NRW.

Die betroffenen Versicherten würden nun angeschrieben und die Schäden reguliert, „sofern alle Voraussetzungen für eine Erstattung vorliegen und die Ansprüche nicht verjährt sind“, so Reichard weiter. Bereits verjährt sein könnten aufgrund der Drei-Jahres-Frist demnach einzelne Ansprüche aus dem Jahr 2021.

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Klauseln müssen den Versicherungsumfang verständlich machen

Das Transparenzgebot verpflichtet den Verwender Allgemeiner Geschäftsbedingungen, Rechte und Pflichten für Vertragspartner möglichst klar und verständlich darzustellen, betonte das OLG. Dies bedeute nicht nur, dass eine Klausel für sich genommen verständlich formuliert sein müsse – auch im „Zusammenhang mit dem übrigen Klauselwerk“ müsse sie nachvollziehbar und stimmig sein.

Zusammengehörende Regelungen müssten entweder gemeinsam aufgeführt oder der Zusammenhang auf andere Weise – etwa durch konkrete Verweise – deutlich gemacht werden.

Verständlich müssten die Klauseln für den „durchschnittlichen Versicherungsnehmer“ sein, so das Gericht weiter. Zudem gebiete es der Grundsatz von Treu und Glauben, dass die Klausel die wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen soweit erkennen lässt, dass dem Versicherungsnehmer bereits bei Vertragsabschluss vor Augen geführt wird, in welchem Umfang er Versicherungsschutz erlangt – und welche Umstände diesen Schutz gefährden.

Die Transparenzanforderungen dürften jedoch auch nicht überspannt werden, so die Münchener Richter. Es sei nicht notwendig, jede denkbare Eventualität abzudecken oder alle Zweifelsfragen im Einzelfall auszuschließen. Auch sei es kein Verstoß gegen das Gebot, wenn sich eine Klausel theoretisch klarer hätte formulieren lassen.

Warum verstößt die verwendete Klausel gegen das Transparenzgebot?

Die Ausführungen des Oberlandesgerichts München zu den Gründen, weshalb die Pandemieklausel voraussichtlich gegen das Transparenzgebot verstößt, bleiben zwar abstrakt. Es lassen sich jedoch folgende Kritikpunkte herauslesen:

  • Der Versicherungsnehmer kann der Pandemieklausel nicht eindeutig entnehmen, dass der Versicherer seine Leistungspflicht sowohl für die Reiserücktritts-, Reiseabbruch- als auch die Auslandsreisekrankenversicherung ausschließt. Die Klausel erscheint im Allgemeinen Teil (§ 10 AT) „vor die Klammer gezogen“, also außerhalb des unmittelbaren Zusammenhangs mit den konkreten Versicherungsarten. Zwar wird dort erwähnt, dass der Ausschluss „zusätzlich zu den in den Besonderen Bedingungen genannten Ausschlüssen“ gilt – es fehlt jedoch eine klare Bezugnahme auf konkret benannte Klauseln.
  • Hinzu kommt eine uneinheitliche Umsetzung in den einzelnen Vertragsbestandteilen: Im Besonderen Teil zu den jeweiligen Versicherungen wird nicht durchgängig auf die zentralen Ausschlussgründe verwiesen. So enthält etwa die sogenannte Notfall-Service-Versicherung unter der Überschrift „Was ist nicht versichert“ einen ausdrücklichen Verweis auf § 10 AT – und damit auch auf die Pandemieklausel. Bei anderen Teilversicherungen fehlt ein solcher Hinweis. Dadurch könne aus Sicht eines durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers der Eindruck entstehen, die Pandemieklausel gelte nur dort, wo sie ausdrücklich erwähnt wird.
  • Teilweise kommt es zu inhaltlichen Überschneidungen zwischen den Ausschlüssen in den Allgemeinen Vertragsbedingungen und den Ausschlüssen in den Besonderen Bedingungen. Auch das verwirre den Versicherungsnehmer – und führe letztendlich zu der Frage, welche allgemeinen Ausschlüsse überhaupt unter welchen Bedingungen gelten.
  • Ferner bleibe der Begriff „Pandemie“ unklar, so dass der Versicherungsnehmer nicht sicher abschätzen könne, wann genau der Versicherungsschutz entfällt. Der Versicherer hatte argumentiert, dass eine Pandemie vorliege, sobald die Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine solche ausruft. Das OLG München hielt dem entgegen, dass der Versicherungsnehmer zum Beispiel nicht wissen könne, ob der Versicherungsschutz wieder gilt, sobald die WHO die Pandemie für beendet erklärt.

Reiseversicherer blitzt mit Argument des Kumulrisikos ab

Kein Gehör fand die Union Reiseversicherung vor Gericht mit dem Argument, Pandemien wie eine Coronainfektion müssten schon deshalb vom Versicherungsschutz ausgenommen sein, weil sie aus Sicht des Versicherungsnehmers kein Einzelschicksal, sondern ein unzumutbares Kumulrisiko darstellten – also ein massenhaftes, gleichzeitig eintretendes Schadenereignis.

Die Coronapandemie habe gezeigt, dass eine pandemische Erkrankung nicht zwingend für den einzelnen Versicherten eine unerwartet schwere Erkrankung bedeute, welche die planmäßige Durchführung der Reise unzumutbar mache, argumentierte das Gericht.

Zudem würden gerade junge Menschen einen schweren Krankheitsverlauf als individuellen Schicksalsschlag empfinden, selbst wenn andere dieses Schicksal teilen. Im Umkehrschluss seien auch beispielhaft in Reiseversicherungen versicherte Ereignisse wie ein Herzinfarkt keine singulären Einzelschicksale, da sie oft in hoher Zahl auftreten würden.

Deshalb führe aus Sicht des vernünftigen und um Verständnis bemühten Versicherungsnehmers auch eine Pandemie nicht zwangsläufig zu „unerwartet schweren Erkrankungen“. Das zeige sich auch daran, dass andere Versicherer eine individuelle Corona-Erkrankung weiterhin als versichert bewerten und nicht alle Anbieter hier einen Ausschluss festschreiben.

Das OLG hat nicht den Inhalt der Klausel, sondern den Aufbau der Bedingungen bemängelt.

URV – Union Reiseversicherung

URV verzichtet nun auf Covid-Klausel im Neugeschäft

Auf die Frage, warum der Versicherer den Vergleich akzeptiert habe und ob man die Klausel inzwischen selbst als intransparent betrachte, erklärte ein Sprecher der Union Reiseversicherung:

„Das OLG hat nicht den Inhalt der Klausel, sondern den Aufbau der Bedingungen bemängelt. Zu dem Vergleich haben wir uns bereit erklärt, weil das Oberlandesgericht zu erkennen gegeben hat, dass es unsere Argumente derzeit nicht teilt und wir eine Fortsetzung des langwierigen Verfahrens vor dem BGH vermeiden wollten. Davon profitieren nun auch unsere hiervon betroffenen Kunden, die bereits jetzt Klarheit über ihre Ansprüche erhalten haben“.

Zudem wolle man den Covid-Ausschluss auch in veränderter Form vorerst nicht verwenden, berichtet der Sprecher weiter: „Im Sinne einer bestmöglichen Transparenz und Kundenfreundlichkeit haben wir die Vertragsgestaltung im Neugeschäft angepasst. Seit Mitte 2023 erstatten wir Schäden infolge Covid 19 als schwere Erkrankung. Dies haben wir in den jetzt angepassten Bedingungen für das Neugeschäft klargestellt“.

Allerdings behalte sich der Versicherer vor, „zum Schutz der Kalkulierbarkeit unserer Tarife und um unseren Kunden eine faire Prämie anzubieten“ auch in Zukunft Pandemieausschlussklauseln zu verwenden.

Versicherer erstattet direkt

Anstatt betroffene Kunden aktiv anzuschreiben und auf ihre Rechte hinzuweisen, sei die URV bereits dazu übergegangen, „unmittelbar in die Erstattung überzugehen“, so der Sprecher.

„Wir haben bereits sämtliche uns bekannten Schadensfälle, die wir aufgrund der Pandemieausschlussklausel abgelehnt hatten, nachreguliert – sofern noch keine Verjährung eingetreten ist.“

Die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen empfiehlt Betroffenen, mögliche Ansprüche prüfen zu lassen – insbesondere, wenn sie gegenüber der Union Reiseversicherung bislang keine Forderungen wegen der Ausschlussklausel geltend gemacht haben.

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