7.7.2025 – Das Reinigen der Autofenster vor der Fahrt zum Arbeitsplatz kann als Wegeunfall gelten, der von der Berufsgenossenschaft zu bezahlen ist. Das hat das Sozialgericht Hamburg in einem aktuellen Urteil entschieden. Der Kläger habe nämlich eine erforderliche Nebentätigkeit ausgeübt, damit er seinen Job ausüben kann. Diese sei ähnlich notwendig wie beispielsweise das Eiskratzen im Winter.
Als Wegeunfälle, die von der gesetzlichen Unfallversicherung abgedeckt sind, gelten nicht nur Schäden bei der unmittelbaren Fortbewegung zum oder vom Arbeitsplatz. Darauf berief sich ein Bäcker, der im Mai 2022 um 1.30 Uhr zur Arbeit fahren wollte. Da es zuvor geregnet hatte, lagen Laub und Schmutz auf den Fensterscheiben.
Der 1964 geborene Mann sorgte für freie Sicht, stolperte dabei aber über eine Bordsteinkante und stürzte. Als er sich abstützte, brach er sich einen Knochen des rechten Handgelenks. Die Verletzung wurde zunächst mit einem Gipsverband versorgt und drei Tage später operativ behandelt.
Rechtsstreit um Anerkennung als Arbeitsunfall
Der Bäcker meldete daraufhin einen Arbeitsunfall, was die zuständige Berufsgenossenschaft jedoch ablehnte. Denn es handele sich nicht um einen mitversicherten Wegeunfall. Das Reinigen der Fensterscheiben stelle keine „durch das Beschäftigungsverhältnis veranlasste Handlung“ dar.
Außerdem sei das Reinigen mit der vom Kläger genannten Dauer von mehreren Minuten nicht nur nebenbei erfolgt. Des Weiteren sei die Verschmutzung nicht plötzlich eingetreten und unvorhersehbar gewesen, weil das Fahrzeug dauerhaft unter Bäumen abgestellt worden sei.
Gegen den ablehnenden Bescheid legte der Mann Widerspruch ein. Demnach sei das Reinigen der Scheiben erforderlich gewesen, um sicher zur etwa zehn Kilometer entfernten Bäckerei fahren zu können. Es bestehe also ein Zusammenhang mit dem versicherten Weg zur Arbeitsstätte.
Unfallversicherung weist Widerspruch zurück
Mehr als 13 Monate nach dem Unfall wies die Körperschaft des öffentlichen Rechts den Widerspruch als unbegründet zurück. Denn das Reinigen der Fensterscheiben stelle eine planbare Vorbereitungshandlung dar, die lediglich der allgemeinen Fahrbereitschaft des Fahrzeugs diene.
Hiergegen klagte der Bäcker und bekam vor dem Sozialgericht Hamburg Recht (Urteil vom 20. Juni 2025, S 40 U 140/23 D). Die angefochtenen Bescheide sind demnach rechtswidrig. Die darin festgestellte Ablehnung wird aufgehoben und der folgenschwere Sturz vor dem Privatwagen in der verregneten Mainacht wird als Arbeitsunfall anerkannt.
Die Folge: Nach § 8 Absatz 1 SGB VII sind Schäden von Versicherten infolge einer versicherten Tätigkeit abgedeckt. Als Merkmale von Unfällen gelten demnach „zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen“.
Sozialgericht Hamburg gibt dem Kläger Recht
Laut den Hamburger Sozialrichtern sind in dem verhandelten Fall alle gesetzlich genannten Voraussetzungen erfüllt. Das Reinigen der Scheiben sei ebenso als erforderliche Nebentätigkeit anzusehen, um die Fortbewegung zu ermöglichen, und damit der Weg zur Arbeitsstelle überhaupt angetreten werden kann.
Eine notwendige Vorbereitungshandlung ist demnach beispielsweise auch das Eiskratzen im Winter. „Bei solchen Tätigkeiten handelt es sich nicht um ‚eigenwirtschaftliche Tätigkeiten‘, sondern um die versicherte Tätigkeit nach § 8 Absatz 2 SGB VII, denn diese stehen in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem ‚sich fortbewegen‘.“
Anders ist der Fall bei einer Frau aus Sachsen-Anhalt, die die Windschutzscheibe ihres Autos mit einer Frostschutzfolie abdecken wollte und umknickte (VersicherungsJournal 7.2.2023). Sie hat keinen Anspruch auf Leistungen durch die gesetzliche Unfallversicherung, entschied das Landessozialgericht in einem Urteil vom 14. Dezember 2022 (L 6 U 61/20).
Oft entscheiden Details, ob die gesetzliche Unfallversicherung bei einem Arbeitsunfall leistet. Der Gesundheitsschaden wird dann schnell zu einem Fall für die Gerichte. Wie begrenzt der Schutz durch die gesetzliche Unfallversicherung ist, wird in einem VersicherungsJournal-Dossier illustriert. Hierfür wurden zahlreiche konkrete Entscheidungen aus der Sozialgerichtsbarkeit zusammengestellt (VersicherungsJournal 13.9.2018). Berücksichtigt werden Wegeunfälle sowie Arbeitsunfälle bei betrieblichen Veranstaltungen, Toilettengängen und im Homeoffice. Zudem liefert das Dossier statistische Daten zum Unfallgeschehen in Deutschland sowie einen Überblick über den Markt der privaten Unfallversicherung. Nähere Informationen und Bestellmöglichkeit finden sich unter diesem Link. Die Publikation steht Premium-Abonnenten des VersicherungsJournals zur persönlichen Nutzung kostenlos zur Verfügung. |