11.4.2025 – Die zukünftige Bundesregierung bleibt in den Bereichen Altersvorsorge sowie Gesundheit und Pflege teils weit hinter den Erwartungen und den eigentlich notwendigen Reformschritten zurück. Diese Einschätzung teilen mehrere Branchenvertreter nach Bekanntgabe des Koalitionsvertrages. Einzelne Vorhaben finden Zustimmung, aufgrund der oft vagen Angaben sehen die Akteure jedoch meist Klärungs- und Konkretisierungsbedarf.
Der Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD (VersicherungsJournal 9.4.2025) ruft in der Versicherungsbranche gemischte Reaktionen hervor. Zwar werden einige Vereinbarungen gelobt, insgesamt jedoch bleiben die Pläne in den Bereichen Altersvorsorge sowie Gesundheit und Pflege aus der Sicht vieler Akteure hinter den Erwartungen zurück.
Positiv wird der schnelle Abschluss der Verhandlungen bewertet. „Angesichts der globalen Herausforderungen braucht Deutschland eine handlungsfähige Regierung“, heißt es beim Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (GDV).
„Es ist daher ein gutes Signal, dass die Regierungsbildung nun zügig voranschreitet – nicht zuletzt, um das deutsche Gewicht in wichtigen europäischen Vorhaben zur Geltung zu bringen, etwa beim Abbau unnötiger Bürokratie.“ Es gelte aber besonders, bei den großen Zukunftsfragen keine Zeit zu verlieren.
BVK äußert sich kritisch zur geplanten Riester-Reform
- Michael H. Heinz (Bild: BVK)
Der Bundesverband Deutscher Versicherungskaufleute e.V. (BVK) zeigt sich erleichtert, dass der Vertrag „insbesondere ein klares Bekenntnis zum Nebeneinander von Provisions- und Honorarberatung“ enthalte. Auch begrüße man die Frühstart-Rente und die geplante Vereinfachung, Entbürokratisierung und Digitalisierung der betrieblichen Altersvorsorge (bAV).
Ebenso, dass die Förderung von Geringverdienern verbessert und die Portabilität der bAV erhöht werden soll. „Auch, dass sich Selbstständige für ein Altersvorsorgeprodukt ihrer Wahl frei entscheiden können, ist gut“, heißt es.
In die richtige Richtung gehe ferner die Einführung einer steuerfreien Aktivrente. „Das ist angesichts der nahenden millionenfachen Verrentungswelle der Babyboomer-Generation das richtige Signal“, so BVK-Präsident Michael H. Heinz. Zustimmung finden ferner die vorgesehene Förderung der Wirtschaft durch Steuersenkungen und das Abschaffen des Lieferkettengesetzes.
Skepsis bei Reform der Riester-Rente
Anders fällt die Einschätzung zur Reform der Riester-Rente aus. „Skeptisch sind wir, wie die neue Koalition die Verwaltungs-, Produkt- und Abschlusskosten reformieren will“, sagt Heinz. „Dies darf nicht zu Lasten der Versicherungsvermittler gehen. Auch die Einführung eines Standardproduktes sehen wir kritisch.“
Mit Blick auf die geplante Elementarschadenabsicherung sagt er: „Die Rückversicherbarkeit soll dabei durch eine staatliche Rückversicherung sichergestellt und die Versicherungsbedingungen weitgehend reguliert werden. Dies ist für uns ein Wermutstropfen.“
Die wichtige Rolle unabhängiger Vermittlerinnen und Vermittler wird nicht erwähnt.
Norman Wirth, geschäftsführender Vorstand des AfW
AfW fehlen grundlegende Reformen in allen drei Säulen der Altersvorsorge
Der AfW – Bundesverband Finanzdienstleistung e.V. kritisiert „das Ausbleiben grundlegender Reformen über alle drei Säulen der Altersvorsorge“. Auch wenn die gesetzliche Rente von unabhängigen Finanz- und Versicherungsvermittlern nicht beraten werde, seien die Festlegungen hier für eine ganzheitliche Beratung zur Altersvorsorge relevant.
- Norman Wirth (Bild: Andreas Klingberg)
„Die Festlegung auf ein Rentenniveau von 48 Prozent bis 2031 mag auf den ersten Blick Sicherheit vermitteln – tatsächlich ist sie Ausdruck politischer Untätigkeit und folgt auch nicht dem dringenden Reformaufruf maßgeblicher Ökonomen noch in den letzten Tagen“, sagt Norman Wirth, geschäftsführender Vorstand des AfW.
„Wenn die entstehenden Mehrausgaben allein über Steuermittel ausgeglichen werden, droht die umlagefinanzierte Rente zur steuerfinanzierten Sozialleistung zu verkommen“, so Wirth. Schon heute fließen seinen Angaben zufolge rund 120 Milliarden Euro jährlich aus dem Bundeshaushalt in die gesetzliche Rentenversicherung – Tendenz steigend.
Auch bei der betrieblichen Altersvorsorge (bAV) würden die Ankündigungen vage bleiben. Digitalisierung, Vereinfachung und Portabilität seien zwar sinnvolle Ziele, ersetzten aber keine konkrete Strategie zur Verbreitung der bAV in kleinen und mittleren Unternehmen. Die wichtige Rolle unabhängiger Vermittlerinnen und Vermittler werde nicht erwähnt.
Es ist ein starkes Signal, dass beide Vergütungsmodelle anerkannt werden.
Norman Wirth, geschäftsführender Vorstand des AfW
AfW fordert faire Regulierungspraxis ohne ideologische Schlagseiten
Positiv bewerte man die Einführung der Frühstart-Rente. „Das ist ein richtiges Signal – auch wenn der Betrag eher symbolisch ist. Entscheidend wird sein, wie die konkrete Ausgestaltung erfolgt – insbesondere mit Blick auf die Auswahl der Produkte und deren Beratung“, sagt Wirth.
Die vorgesehene Reform der Riester-Rente weise in die richtige Richtung, bleibe aber ebenfalls unkonkret. Es fehlten klare Aussagen zu Übergangsregelungen, zu Vergütungsfragen sowie zur Rolle unabhängiger Berater. „Ein Standardprodukt allein reicht nicht. Menschen brauchen qualifizierte persönliche Beratung – und diese muss fair und nachvollziehbar vergütet werden“, betont er.
Es sei ferner ein starkes Signal, dass beide Vergütungsmodelle anerkannt werden. „Entscheidend ist nun, dass daraus auch eine faire Regulierungspraxis folgt – ohne ideologische Schlagseiten, die bei einer Übernahme des Finanzministeriums und damit auch der Verantwortung für die Bafin [Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht] nicht völlig unwahrscheinlich sind“, so Wirth.
Zur geplanten Schließung von Lücken in der Regulierung von Kryptowerten, dem grauen Kapitalmarkt und Schattenbanken sagt er: „Alles, was unseriöse Marktteilnehmer vom Finanzmarkt entfernt oder fernhält und den Ruf der unabhängigen Beratung schützt, ist zu begrüßen.“ Und zur Elementarschadenversicherung. „Das ist ein ausgewogener Vorschlag, der den Versicherungsschutz gegen zunehmende Klimarisiken stärkt und gleichzeitig individuelle Spielräume wahrt.“
Je später gehandelt wird, desto härter werden dann die Eingriffe ausfallen.
Klaus Morgenstern, Sprecher des Deutschen Instituts für Altersvorsorge
Dia hält Vereinbarungen zur gesetzlichen Rente für faulen Kompromiss
„Der Koalitionsvertrag [...] vertagt die dringend notwendige Reform der gesetzlichen Rente ein weiteres Mal“, kritisiert die Deutsches Institut für Altersvorsorge GmbH (DIA). Mit dem Vorhaben, das Rentenniveau bis 2031 gesetzlich abzusichern und 2029 die Finanzierungsgrundlagen zu evaluieren, stehe fest, dass es in der 21. Legislaturperiode keine durchgreifende Reform des Rentensystems geben werde.
- Klaus Morgenstern (Bild: Michael Gottschalk)
„Die Vereinbarungen im Koalitionsvertrag zur gesetzlichen Rente sind ein fauler Kompromiss, bei dem die Parteien auf Zeit spielen“, sagt DIA-Sprecher Klaus Morgenstern. Die SPD bekomme das bei 48 Prozent eingefrorene Rentenniveau. Man müsse schon froh sein, dass eine Begrenzung in den Vertrag hineinverhandelt wurde. Mit dem Rentenpaket II sollte diese Regelung bis 2040 und darüber hinaus gelten.
Die Union verbuche auf ihrer Habenseite den „grundsätzlichen“ Erhalt des demografischen Faktors in der Rentenformel. Der verwandele sich allerdings bis 2031 in einen zahnlosen Tiger. Durch die gesetzliche Sicherung des Rentenniveaus bei 48 Prozent sei dieser Faktor in seiner Wirkung aufgehoben.
Obwohl Experten seit längerem Maßnahmen empfehlen würden, mit denen die gesetzliche Rente an die demografische Entwicklung angepasst werden solle, schiebe auch die künftige Bundesregierung die notwendigen Schritte auf. „Die Probleme aber bleiben bestehen. Je später gehandelt wird, desto härter werden dann die Eingriffe ausfallen“, warnt Morgenstern.
Die neue Koalition muss jetzt die Finanzen der Kranken- und Pflegeversicherung auf den großen demografischen Druck vorbereiten.
Florian Reuther, PKV-Verbandsdirektor
PKV-Verband fordert demografiefeste Finanzierung des Gesundheitswesens
- Florian Reuther (Bild: PKV-Verband)
Aus Sicht von Florian Reuther, Direktor des Verbands der Privaten Krankenversicherung e.V. (PKV-Verband), benennt der Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD „die richtigen Reformthemen für das deutsche Gesundheitswesen“. Die neue Koalition sollte jedoch „jetzt die Finanzen der Kranken- und Pflegeversicherung generationengerecht aufstellen und auf den großen demografischen Druck vorbereiten“.
Entscheidende Bedeutung für die künftige Qualität des Gesundheitswesens komme den dazu vorgesehenen Kommissionen zu. Die private Krankenversicherung werde „mit besten Kräften und konstruktiven Vorschlägen unterstützen – die Koalition sollte hier auf die Expertise der PKV mit ihrer nachhaltigen und demografiefesten Finanzierung zurückgreifen“, so Reuther.
„Die Private Krankenversicherung bildet aus eigener Kraft Nachhaltigkeitsreserven für die stark steigenden Gesundheits- und Pflegekosten unserer alternden Gesellschaft. Wir stehen bereit, diese generationengerechte Lösung auch für den Ausbau einer besseren Eigenvorsorge für möglichst viele Menschen anzubieten“, sagt er.
Statt Antworten auf die drängenden Finanzprobleme bei GKV und SPV zu geben, werden Kommissionen gegründet.
Dr. Carola Reimann, Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes
AOK sieht viel Klärungs- und Konkretisierungsbedarf
Deutliche Kritik äußert Dr. Carola Reimann, Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes GbR: „Es ist ernüchternd, dass von den ursprünglichen konkreten Vorschlägen zur Entlastung der Kranken- und Pflegeversicherung so gut wie nichts übriggeblieben ist“, sagt sie in einer ersten Reaktion.
- Carola Reimann (Bild: AOK-Mediendienst)
Ein Hoffnungsschimmer sei jedoch die klar formulierte Absicht, die strukturelle Lücke zwischen Einnahmen und Ausgaben zu schließen und die seit Jahren steigende Ausgabendynamik zu stoppen. „Dieses Ziel begrüßen wir ausdrücklich, allerdings brauchen wir mehr Tempo und Konkretisierung“, so Reimann.
Insgesamt bleibe die zukünftige Koalition in den Bereichen Gesundheit und Pflege weit hinter den Erwartungen und den eigentlich notwendigen Reformschritten zurück. „Statt Antworten auf die drängenden Finanzprobleme bei GKV und SPV zu geben, werden Kommissionen gegründet“, kritisiert die AOK-Chefin.
Echte Entlastungen für die Beitragszahlenden seien perspektivisch nicht erkennbar. Konkrete Maßnahmen zur nachhaltigen Stabilisierung der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung suche man vergeblich. „Wir werden die Arbeit der schwarz-roten Koalition konstruktiv begleiten“, sagt Reimann. „Mit diesem gesundheits- und pflegepolitischen Fahrplan ist allerdings viel Klärungs- und Konkretisierungsbedarf verbunden.“
Als Vertreter der Bauspar-Idee können wir das nicht gutheißen.
Christian König, Hauptgeschäftsführer Verband der Privaten Bausparkassen
Bausparkassen fürchten Benachteiligung eigenverantwortlich Vorsorgende
Auch der Verband der privaten Bausparkassen e.V. sieht noch viele offene Fragen. Man begrüße, dass die künftige schwarz-rote Bundesregierung Familien bei der Wohneigentumsbildung unterstützen möchte, heißt es in einer Presseerklärung. Vieles bliebe aber vage.
- Christian König (Bild: Bausparkassen)
Das gelte zuvorderst für die Ankündigung von verbesserten steuerlichen Maßnahmen auch für die Wohneigentumsbildung. Die geplanten staatlichen Bürgschaften für Hypotheken könnten die Kreditvergabe an Haushalte mit kleinen und mittleren Einkommen durchaus erleichtern, auf die sogenannten eigenkapitalersetzenden Darlehen treffe dies aber nicht zu.
„Eigenkapital ist ein unersetzlicher Baustein in einer sicheren Wohnungsbaufinanzierung“, sagt Christian König, Hauptgeschäftsführer des Bausparkassenverbandes. „Sollten damit nachrangig besicherte Darlehen gemeint sein, so müssen wir darauf verweisen, dass auch Bauspardarlehen nachrangig besichert sind.“
Der Staat würde hier nur ein marktwirtschaftliches Angebot durch ein staatliches Angebot ersetzen – und letztlich jene benachteiligen, die bereits eigenverantwortlich vorgesorgt haben. „Als Vertreter der Bauspar-Idee können wir das nicht gutheißen“, so König. Die geplante Vereinfachung der KfW-Förderprogramme sei zudem zwar grundsätzlich sinnvoll, man vermisse hier aber unter anderem die Förderung des Bestandserwerbs und die Befreiung von teuren energetischen Zusatzanforderungen.
Entscheidend ist jetzt, dass die vielen sinnvollen Maßnahmen in eine konsistente, umsetzungsorientierte Start-up- und Innovationspolitik münden.
Verena Pausder, Vorstandsvorsitzende Start-up-Verband
Start-up-Verband erkennt ambitionierte Vorhaben
Der Bundesverband Deutsche Start-ups e.V. sieht Schwarz-Rot auf dem richtigen Kurs. „Der Koalitionsvertrag setzt wichtige Impulse für einen wirtschaftlichen Aufbruch und hebt das Potenzial von Start-ups als Innovationsmotoren unserer Wirtschaft hervor“, sagt Vorstandsvorsitzende Verena Pausder.
- Verena Pausder (Bild: Patrycia Lukas)
„Positiv ist, dass ein ganzheitlicher Blick auf das Start-up-Ökosystem erkennbar ist – von Finanzierung über Bürokratieabbau bis hin zu Talenten und technologischer Souveränität. Entscheidend ist jetzt, dass die vielen sinnvollen Maßnahmen in eine konsistente, umsetzungsorientierte Start-up- und Innovationspolitik münden“, so die Unternehmerin.
Vielversprechend seien die geplanten Schritte zur stärkeren Mobilisierung privaten Kapitals und zur Öffnung institutioneller Investoren für Wagniskapital. Auch bei Entbürokratisierung, Digitalisierung und Talentgewinnung sehe man ambitionierte Vorhaben.
„Jetzt kommt es darauf an, diese Vorhaben mit Tempo und Entschlossenheit umzusetzen. Denn gerade in einer Zeit globaler Unsicherheit braucht es ein klares Signal: Deutschland setzt auf Innovation, Unternehmertum und wirtschaftliche Erneuerung“, fordert Pausder.