14.5.2025 – Aufgrund der demografischen Alterung gerät das umlagefinanzierte System der Sozialversicherungen zunehmend an seine Belastungsgrenze. Der Gesamtbeitrag steigt, was erheblich zulasten der jüngeren und zukünftigen Generationen geht. Dies zeigt eine Studie von Wirtschaftsweise Martin Werding für das WIP.
Steuert die Politik bei den Alterssicherungssystemen nicht endlich gegen, droht der Bruch des Generationenvertrages. Darauf weist aktuell nicht nur die Wirtschaftsweise Professorin Dr. Veronika Grimm in einem Interview hin. Sie vermutet, dass irgendwann die junge Generation den Generationenvertrag aufkündigt, indem sie ins Ausland abwandert.
Auch eine neue Studie mit dem Titel „Sozialversicherung in demografischer Schieflage: Steigende Beitragsbelastungen für die junge Generation“ (PDF; 570 KB) zeigt, dass der Generationenvertrag unter den geltenden gesetzlichen Regelungen massiv ins Wanken gerät.
Die Untersuchung wurde von Professor Dr. Martin Werding von der Ruhr-Universität Bochum für das WIP – Wissenschaftliches Institut der PKV erstellt. Werding gehört wie Grimm zum Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung der Bundesregierung.
Haltelinie bei 48 Prozent verstärkt intergenerationelle Umverteilung
- Martin Werding (Bild: Sachverständigenrat Wirtschaft)
Unter den geltenden gesetzlichen Regelungen werden laut der Untersuchung Kinder, die im Jahr 2020 geboren wurden, im Schnitt 55,6 Prozent ihres Erwerbseinkommens an Sozialbeiträgen einzahlen müssen. Bei einem 1940 Geborenen waren es nur 34,2 Prozent – der Unterschied beträgt 21,4 Prozentpunkte.
Alle Jahrgänge nach 1970 müssen mehr als 40 Prozent entrichten. Wer nach der Jahrtausendwende geboren wurde, muss sogar mehr als 50 Prozent aufbringen. Die Berechnungen wurden auf Basis mittlerer Annahmen zur wirtschaftlichen Entwicklung erstellt.
Zusätzlich wurde eine Variante betrachtet, in der das Sicherungsniveau gesetzlicher Renten – wie von der neuen Bundesregierung derzeit bis 2031 vorgesehen – dauerhaft mit einer Haltelinie bei mindestens 48 Prozent versehen wird.
Die intergenerationelle Umverteilung verstärkt sich dadurch noch weiter. Für die Geburtsjahrgänge ab 1980 erhöht sich der Anstieg der Beitragsbelastungen im Falle einer solchen Haltelinie auf 57,1 Prozent. Die Abweichung von der Referenzvariante beträgt plus 1,5 Prozentpunkte.
1940 Geborene müssen 350.000 Euro weniger zahlen als 2020 Geborene
Die F.A.Z. berichtete zuerst über die Studie. Für ihren Beitrag „Sprengstoff im Generationenvertrag“ (Bezahlschranke) rechnete die Redaktion aus, was diese Zahlen konkret für den Geldbeutel bedeuten.
Demnach müssen ein 1980 Geborener und sein Arbeitgeber insgesamt 715.000 Euro an die gesetzliche Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung zahlen. Für einen 1960 Geborenen waren 640.000 Euro und einen 1940 Geborener nur 556.000 Euro zu entrichten. „Das sind fast 350.000 Euro oder 39 Prozent weniger, als ein 2020 Geborener bereitstellen muss“, heißt es.
Den Berechnungen wurde unter Berücksichtigung des Durchschnittsverdiensts und der Preise von 2023 ein Bruttoentgelt über die gesamte Erwerbsphase hinweg für alle betrachteten Jahrgänge von einheitlich knapp 1,63 Millionen Euro zugrunde gelegt.
Sie untergraben den sozialen Zusammenhalt und die politische Legitimität des umlagefinanzierten Sozialversicherungssystems.
Professor Dr. Martin Werding
Belastungen für jüngere und zukünftige Generationen steigen
Trotz aller Unsicherheiten über die zukünftige Entwicklung von Demografie, Arbeitsmarkt und Wirtschaftswachstum zeigten die in dieser Studie angestellten Berechnungen ein klares Bild, schreibt Werding in seiner Untersuchung für das WIP.
„Die Belastungen, denen jüngere und zukünftige Generationen im Rahmen des umlagefinanzierten, deutschen Sozialversicherungssystems aufgrund der demografischen Alterung unterliegen, steigen in den nächsten Jahren und Jahrzehnten immer weiter an“, warnt er.
Der massive Anstieg der Beitragssätze der deutschen Sozialversicherungen gefährde nicht nur die zukünftigen Entwicklungen von Beschäftigung und Wirtschaftswachstum. Sie untergraben seiner Meinung nach auch den sozialen Zusammenhalt und die politische Legitimität des umlagefinanzierten Sozialversicherungssystems.
Von diesem Grundsatz hat sich die Politik im Umgang mit den seit Jahrzehnten absehbaren Herausforderungen immer weiter entfernt.
Professor Dr. Martin Werding
Schutz vor Überlastungen im Rahmen des Systems
„Der vielzitierte ‚Generationenvertrag‘ ist bekanntlich kein juristischer Vertrag, in den neue Mitglieder nur nach ihrer Zustimmung einbezogen werden. Vielmehr unterliegt jede neue Generation Versicherter ungefragt der gesetzlich geregelten Beitragspflicht“, berichtet er.
Die Fähigkeit des Staates, im Umlageverfahren finanzierte Sozialversicherungen selbst unter den ungünstigen Rahmenbedingungen der demografischen Alterung durch hoheitlichen Zwang zu stabilisieren, bringe jedoch auch eine Pflicht des Staates mit sich, junge und zukünftige Versicherte vor Überlastungen im Rahmen dieses Systems zu schützen.
„Der Generationenvertrag wird damit zur regulativen Idee: Seine Konditionen müssen politisch so gesteuert werden, dass sie für alle beteiligten Generationen zumindest zustimmungsfähig sind. Von diesem Grundsatz hat sich die Politik in Deutschland im Umgang mit den seit Jahrzehnten absehbaren Herausforderungen durch die demografische Entwicklung immer weiter entfernt“, so Werding.