Kein gesetzlicher Unfallschutz bei privatem Umweg vor einem Diensttermin

14.4.2025 – Ein Angestellter war von einem Geschäftstermin zu zwei privaten Ereignissen gefahren, als er danach auf dem Weg zu einem weiteren Geschäftstermin tödlich verunglückte. Das Bayerische Landessozialgericht entschied, dass der Unfall nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stand; unter anderem, weil er sich am letzten Ort, bevor er sich auf den Weg zum Geschäftskunden begab, weniger als zwei Stunden aufgehalten hatte.

Ein angestellter Geschäftsführer hatte laut seinem Geschäftskalender vor, um 14.00 Uhr auf die Beerdigung eines ehemaligen Mitarbeiters eines Geschäftskunden zu gehen und danach einen geschäftlichen Termin bei einer Druckerei wahrzunehmen.

Zwei private Termine vorgenommen

Anstatt nach der Beerdigung direkt zur Druckerei zu fahren, fuhr er um circa 15.30 Uhr zunächst in die entgegengesetzte Richtung zu einem Auktionshaus, um einen Katalog zu holen. Dort war er um circa 16.30 Uhr angekommen.

Anschließend besuchte er zwischen etwa 18.00 und 19.00 Uhr Freunde, die am selben Ort ansässig waren wie das Auktionshaus. Danach fuhr er in Richtung Druckerei weiter und erlitt unverschuldet einen Verkehrsunfall, bei dem er verstarb.

Seine Ehefrau beantragte von dem zuständigen Träger der gesetzlichen Unfallversicherung – einer Berufsgenossenschaft (BG) – Hinterbliebenenleistungen. Doch die BG bestritt, dass es sich um einen versicherten Wegeunfall handelte.

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Ein Arbeitsweg ausgehend von einem dritten Ort

Die Ehefrau verklagte daraufhin die BG. Das Sozialgericht (SG) Regensburg hatte der Klage in erster Instanz teilweise stattgegeben. Nach deren Urteil handelte es sich um einen versicherten Wegeunfall gemäß § 8 Absatz 2 Satz 1 SGB VII, also entsprechend einem Unfall auf dem direkten Weg von der Wohnung des Versicherten zur Arbeitsstelle (Wegeunfall).

Das Gericht begründete dies damit, dass der Verstorbene am Ort des letzten Aufenthaltes länger als zwei Stunden verbrachte. Damit ist nach Ansicht des SG laut gängiger Rechtsprechung dieser Ort rechtlich als „dritter Ort“ zu werten – ein Ort, von dem aus der Weg zur Arbeit ebenfalls versichert ist wie der Weg vom eigenen Wohnsitz zur Arbeit. Dies belegt auch ein Urteil (2 U 20/18 R) des Bundessozialgerichts (BSG) aus dem Jahr 2020 (VersicherungsJournal 11. Juni 2020).

Die BG legte Berufung gegen das Urteil des SG ein – und bekam recht. Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) entschied mit einem Urteil (L 2 U 344/22) vom 27. November 2024, dass der Verstorbene im Moment des Unfalls auf einem sogenannten „Abweg“ unterwegs war. Es handelte sich damit weder um einen versicherten Arbeitsunfall nach § 8 Absatz 1 Satz 1 SGB VII noch um einen Wegeunfall gemäß § 8 Absatz 2 Satz 1 SGB VII.

Kein Arbeitsunfall auf dem Dienstweg …

Zur Urteilsbegründung: Der Unfall war laut LSG kein versicherter Arbeitsunfall auf einem Dienstweg, also kein Unfall, der sich auf dem direkten Weg zwischen zwei Orten ereignete, um dort jeweils einer beruflichen Tätigkeit nachzugehen. Das Gericht wertete zwar die Teilnahme an der Beerdigung als geschäftlich, aber der Besuch im Auktionshaus sowie bei den Freunden war laut Urteil jeweils privater Natur.

Versichert wäre im vorliegenden Fall nur der direkte Rückweg von dem Ort der Beerdigung und zu dem Firmensitz der Druckerei, die er dienstlich aufsuchen wollte. Da die Wegstrecke zu den beiden privaten Terminen, also dem Besuch im Auktionshaus und anschließend bei Freunden, entgegengesetzt zum versicherten Dienstweg lag, wurde dies vom Gericht als nicht versicherter „Abweg“ gewertet.

Zudem hatte der Angestellte den versicherten Dienstweg, nämlich die Wegstrecke zwischen dem Ort der Beerdigung und der Druckerei, zum Unfallzeitpunkt noch nicht wieder erreicht.

… und kein Wegeunfall auf dem Weg zur Arbeit

Ferner führte das LSG aus, dass es sich im Gegensatz zur Entscheidung des SG hier auch nicht um einen Arbeitsweg handelt, bei dem anstelle der Wohnung ein dritter Ort als Ausgangspunkt gilt. Die Begründung: Weder der Aufenthalt beim Auktionshaus noch der zuletzt durchgeführte Besuch bei Freunden dauerte länger als zwei Stunden. Ein Zusammenzählen der Aufenthaltsdauer ist laut LSG jedoch unzulässig.

Im Urteil heißt es diesbezüglich: Eine Zusammenrechnung mehrerer eigenwirtschaftlich motivierter Aufenthalte beziehungsweise Unterbrechungen „würde vor dem Hintergrund der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu der Zwei-Stunden-Grenze bei Unterbrechungen des versicherten Weges zu einem Zirkelschluss führen“.

„Diese Rechtsprechung würde völlig […] ausgehebelt, wenn mehrere private Aufenthalte, die nur in Summe die Zwei-Stunden-Grenze überschreiten, nicht zum Verlust des Versicherungsschutzes führen, sondern diesen sogar ermöglichen würden“, so der Urteilstext weiter.

„Dementsprechend bezeichnet das BSG die von ihm geschaffene Rechtsfigur bewusst als dritten Ort und nicht als dritte Orte, denn diese Rechtsfigur bezweckt – an Stelle der Wohnung/des Hauses eines Versicherten, also eines konkreten Ortes – nur dann einen anderen konkreten Ort als Anfangs- oder Endpunkt eines versicherten Weges zu ermöglichen, wenn an diesem konkreten Ort die Aufenthaltsdauer von mehr als zwei Stunden im Vollbeweis nachgewiesen überschritten wird.“

Dritter Ort muss klar abgrenzbar sein

Fazit: Wie dem Urteil zu entnehmen ist, muss der Aufenthalt an einem „dritten Ort“ klar abgrenzbar sein und mindestens zwei Stunden dauern. Mehrere unterschiedliche private Erledigungen dürfen dabei nicht zusammengezählt werden, auch wenn die Orte der privaten Tätigkeiten nahe beieinander liegen.

Eine Revision zum Bundessozialgericht wurde nicht zugelassen. Das LSG sah keine grundsätzlichen Rechtsfragen, die eine höchstrichterliche Klärung erfordern würden.

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Cover Dossier (Bild: VersicherungsJournal)

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