EU-Parlament formuliert Provisionsverbot um

24.4.2024 – Seit der Veröffentlichung des Entwurfs für die Kleinanlegerstrategie ist das Provisionsverbot im ungebundenen Vertrieb von Versicherungsanlageprodukten heiß umstritten. Das EU-Parlament hat der Passage nun eine neue Note gegeben, die Maklervertretung zeigt sich erfreut: Die Formulierung lasse Maklern die Wahl zwischen Provisions- und Honorarvergütung. Nun geht es in die Gespräche mit dem Rat. Zugestimmt hat das Parlament auch der Solvency-II-Reform sowie Sanierungs- und Abwicklungsregeln für Versicherer. Beides muss der Rat noch absegnen.

Das Europäische Parlament (EP) hat am Dienstag im Rahmen seiner derzeit laufenden Plenarwoche in Straßburg Beschlüsse mit Relevanz für den Versicherungssektor gefasst.

Insbesondere hat es beschlossen, mit dem EU-Ministerrat die Verhandlungen über die Kleinanlegerstrategie (VersicherungsJournal 25.5.2023) aufzunehmen. Diese sieht bekanntlich zahlreiche Änderungen in der Versicherungsvertriebsrichtlinie (IDD) vor.

Die Entscheidung wurde mit 353 Stimmen bei 230 Gegenstimmen und 21 Enthaltungen angenommen. Der EP-Wirtschaftsausschuss hatte sich im Vorfeld mit dem Gesetzespaket befasst und seinen Bericht dazu verabschiedet.

IBIPs: Beratungsfreier Vertrieb

Aus Sicht des Versicherungsvertriebs besonders relevant – und umstritten – sind die Provisions(verbots)regelungen im Zusammenhang mit Versicherungsanlageprodukten.

Die Fassung des Parlaments weicht hier vom ursprünglichen Entwurf der Kommission ab. Das betrifft etwa den von der Kommission für die IDD geplanten Artikel 29a Absatz 1.

Diese statuierte kurz gefasst ein grundsätzliches Provisionsverbot im beratungsfreien Vertrieb. Ausnahmen: geringfügige Zuwendungen beziehungsweise solche, die keinen Interessenkonflikt auslösen können, sowie Zahlungen, die für die Bereitstellung der Dienstleistung „notwendig“ sind.

Das Parlament hat diesen Absatz gestrichen.

Passage zum ungebundenen Vertrieb geändert

Der besonders für Versicherungsmakler bedeutsame Artikel 30 Absatz 5b, in dem die Kommission ein Provisionsverbot im ungebundenen Vertrieb von Versicherungsanlageprodukten niederschrieb, kommt im EP-Entwurf in abgeänderter Form als Artikel 29a Absatz 4a auch vor – siehe Kasten unten.

Kleinanlegerstrategie – „Anreize“ im ungebundenen Vertrieb von Versicherungsanlageprodukten: Vorschlag der Kommission (Art. 30 Abs. 5b) und Entwurf des Parlaments (Art. 29a Abs. 4a)

Entwurf der Kommission (2023)

EP-Entwurf (2024)

Artikel 30 Absatz 5b

Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass ein Versicherungsvermittler oder ein Versicherungsunternehmen, der beziehungsweise das Versicherungsanlageprodukte vertreibt, wenn er beziehungsweise es Kunden mitteilt, dass die Beratung ungebunden erfolgt, der Versicherungsvermittler beziehungsweise das Versicherungsunternehmen

eine hinreichende Zahl von auf dem Markt angebotenen Versicherungsprodukten beurteilt, die hinsichtlich ihrer Art und Produktanbieter hinreichend breit gestreut sind, damit die Ziele des Kunden in geeigneter Weise erreicht werden können, und die nicht auf Versicherungsprodukte beschränkt sind, die von Unternehmen emittiert oder angeboten werden, die in enger Verbindung zum Versicherungsvermittler oder zum Versicherungsunternehmen stehen;

für die Erbringung der Dienstleistung an die Kunden keine Gebühren, Provisionen oder andere monetäre und nichtmonetäre Vorteile einer dritten Partei oder einer Person, die im Namen einer dritten Partei handelt, annimmt und behält.

Artikel 29a Absatz 4a

Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass ein Versicherungsvermittler oder ein Versicherungsunternehmen, der beziehungsweise das Versicherungsanlageprodukte vertreibt, wenn er beziehungsweise es dem Kunden mitteilt, dass die Beratung ungebunden erfolgt,

eine hinreichende Zahl von auf dem Markt angebotenen Versicherungsprodukten beurteilt, die hinsichtlich ihrer Art und Produktanbieter hinreichend breit gestreut sind, damit die Ziele des Kunden in geeigneter Weise erreicht werden können, und die nicht auf Versicherungsprodukte beschränkt sind, die von Unternehmen emittiert oder angeboten werden, die in enger Verbindung zum Versicherungsvermittler oder zum Versicherungsunternehmen stehen;

für die Erbringung der Dienstleistung an die Kunden keine Gebühren, Provisionen oder andere monetäre und nichtmonetäre Vorteile einer dritten Partei oder einer Person, die im Namen einer dritten Partei handelt, annimmt und behält.

Dieser Absatz hindert Versicherungsvermittler, die aufgrund ihres Rechtsstatus als unabhängig eingestuft werden, nicht daran, sich als nicht vertraglich an ein bestimmtes Versicherungsunternehmen gebunden darzustellen, wenn sie darauf hinweisen, dass sie Anreize erhalten.

Das EP schreibt in „Erwägungsgrund 5“ zu dieser Änderung: „Angesichts der Vielfalt der Strukturen für den Versicherungsvertrieb in den Mitgliedstaaten sollten Versicherungsvermittler, die aufgrund ihrer Rechtsform als unabhängig eingestuft werden, durch diese Vorschrift auch nicht daran gehindert werden, sich als nicht vertraglich an ein bestimmtes Versicherungsunternehmen gebunden darzustellen, sofern sie darauf hinweisen, dass sie Anreize erhalten.“

Die Interpretation der neuen Formulierung

Die Formulierung im seinerzeitigen Kommissionsentwurf hatte die Vermittlerverbände in Deutschland zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen kommen lassen, wie sie denn eigentlich auszulegen sei (VersicherungsJournal 15.9.2023).

Was bedeutet nun die neu eingefügte Passage konkret? Kurze Rückblende: Beim alljährlichen „Expertentreffen“ des Fachverbandes der österreichischen Versicherungsmakler im Herbst 2023 war die Kleinanlegerstrategie zentrales Thema.

Dessen Geschäftsführer, Erwin Gisch, ging besonders auf das Provisionsverbot ein, das laut Kommissionsentwurf griffe, wenn der Vertreiber „dem Kunden mitteilt, dass die Beratung ungebunden erfolgt“. Im englischen Entwurf ist von „independent“, also „unabhängiger“ Beratung die Rede.

Gisch argumentierte, es sei nicht die Intention der EU-Kommission gewesen, Maklern ein Provisionsverbot dergestalt aufzuerlegen, wie es hier in der innerstaatlichen Diskussion verstanden wird – zumal die Bedeutung des Begriffs „Versicherungsmakler“ nicht in allen EU-Staaten völlig dieselbe ist.

„Klarstellung“ durch neuen Zusatz

Die eigentliche Intention sei es, so Gisch damals, ein Wahlrecht zwischen Provisions- und Honorarvergütung einzuräumen – was auch die auf den ersten Blick etwas eigenartig anmutende Formulierung „wenn er beziehungsweise es Kunden mitteilt, dass die Beratung ungebunden erfolgt“ nahelegen würde.

Die nunmehr im EP-Text gewählte Formulierung ziele in diesem Sinne auf eine entsprechende Klarstellung ab, hieß es am Dienstag seitens des Fachverbandes der Versicherungsmakler gegenüber dem VersicherungsJournal.

Eine Klarstellung, so der Fachverband weiter, „dass jeder Versicherungsvermittler – auch der Makler – das Wahlrecht haben soll, sich als ‚abhängig‘ zu deklarieren und damit Provision lukrieren zu können oder dem Kunden gegenüber als ‚unabhängig‘ aufzutreten, wodurch ausschließlich ein Honoraranspruch gegenüber dem Kunden möglich ist“.

Fachverbandsobmann Christoph Berghammer wertet die vom Parlament vorgenommene Änderung als Zeichen, dass mit „faktenbasierter Interessenarbeit“, die in Abstimmung mit deutschen Maklerverbänden erfolgte, „eine seriöse Meinungsbildung im demokratischen Brüssel möglich ist“.

Solvency-II-Reform

Neben der Kleinanlegerstrategie wurden zwei Materien behandelt, auf die sich Vertreter des Rats, also der Mitgliedstaaten, einerseits und des Parlaments andererseits bereits im Dezember informell verständigt hatten. Beide müssen nun auch vom Rat beschlossen werden.

Die eine ist die Überarbeitung des Solvency-II-Regelwerks, die die Zustimmung von 549 Abgeordneten bei 56 Gegenstimmen und neun Enthaltungen bekam.

Die Reform soll Gelder freimachen, die Versicherer bislang in Reserve halten müssen. So soll der Versicherungssektor künftig mehr Investments in die wirtschaftliche Erholung und den „European Green Deal“ lenken können.

Außerdem soll die Reform die Aufsicht vereinfachen und weiters eine stärkere Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsrisiken bewirken.

GDV begrüßt finale Ausgestaltung

Jörg Asmussen (Bild: GDV)
Jörg Asmussen (Bild: GDV)

„Im Ergebnis ist eine ausbalancierte Weiterentwicklung des bereits bestehenden Rechtsrahmens herausgekommen, mit dem die Versicherer gut arbeiten können“, kommentierte Jörg Asmussen, Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (GDV), das Votum.

„Die neuen Regeln lassen Spielraum für die Auslegung der Kriterien. Hier sollte bei der Umsetzung der Richtlinie darauf geachtet werden, möglichst vielen auch kleinen Unternehmen den Zugang zu diesen Erleichterungen zu ermöglichen, zum Beispiel beim Berichtswesen”, so Asmussen weiter.

Zu den neuen Nachhaltigkeitsanforderungen sagte er, Ziel von Solvency II sei der Schutz der Versicherungsnehmer. „Es ist deshalb richtig, dass sich die neuen Regeln auf die Risiken fokussieren, die sich aus der Transition und dem Klimawandel für Versicherer ergeben.“

IRRD: Schieflagen vorbeugen

Grünes Licht gab das Plenum zudem für die geplante Richtlinie „zur Festlegung eines Rahmens für die Sanierung und Abwicklung von Versicherungs- und Rückversicherungsunternehmen“.

Die kurz IRRD („insurance recovery and resolution directive“) genannte Richtlinie soll helfen, ins Straucheln geratene Versicherer zu sanieren oder gegebenenfalls abzuwickeln, ohne dass der Steuerzahler dafür aufkommen muss. Eine zentrale Rolle spielen bestimmte Präventionsmaßnahmen.

Asmussen: „Bei der Umsetzung der Richtlinie ist eine doppelte Berichterstattung zu bereits von der Bafin im Rahmen der laufenden Aufsicht erhobenen Informationen in jedem Fall zu vermeiden. Das würde nur den Aufwand für die Unternehmen erhöhen und keinen Mehrwert schaffen.“

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