Wohngebäudeversicherung: „Gleichförmige Massenkündigungen“ unzulässig

20.12.2024 – Der AfW übt harsche Kritik an Fällen, in denen Wohngebäudeversicherer ganze Bestände oder große Teile davon kündigen wollen. Professor Dr. Hans-Peter Schwintowski schließt auf Basis einer Analyse typischer AVB aus mehreren Gründen auf die Unzulässigkeit solcher Kündigungen. Der AfW fordert ein Einschreiten der Bafin.

Von einigen Versicherern würden Maßnahmen avisiert, ganze Versicherungsbestände oder zumindest große Teile aufzulösen – das sei aber „nicht nur unzulässig“, sondern habe „weitreichende negative Konsequenzen“, insbesondere für Versicherungsmakler und deren Kunden.

Hans-Peter Schwintowski (Bild: privat)
Hans-Peter Schwintowski (Bild: privat)

Das ist in einer Pressemeldung des AfW – Bundesverband Finanzdienstleistung e.V. vom Donnerstag zu lesen. Er stützt sich auf ein von ihm in Auftrag gegebenes Gutachten „zur Frage der Zulässigkeit kollektiver, bestandsauflösender Kündigungen in der Wohngebäudeversicherung“.

Verfasst hat es Professor Dr. Hans-Peter Schwintowski von der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin.

Massenkündigungen auf Basis der Bedingungen?

Er schreibt eingangs von Fällen, die aus der Branche berichtet würden: Versicherer entschlössen sich „trotz eines auskömmlichen versicherungstechnischen Ergebnisses“, den Wohngebäudebestand gänzlich oder zu großen Teilen nicht weiterzuführen.

„Konkret werden häufig die die Kunden betreuenden Makler und Maklerpools im Vorfeld darüber informiert, dass von bestimmten Fälligkeitstagen an die Wohngebäudebestände abgebaut werden. Ziel ist es, den Wohngebäudebestand völlig aufzulösen oder stark zu reduzieren.“

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Kündigungsrecht regelmäßig aus den Wohngebäude-AVB abgeleitet

Die Vermittler würden um Umdeckung gebeten und seitens der Versicherer darauf hingewiesen, dass Verträge, die zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht umgedeckt sind, ordentlich gekündigt werden.

Dieses Kündigungsrecht werde regelmäßig aus den Wohngebäude-AVB abgeleitet, die typischerweise die im Kasten angegebenen Inhalte aufwiesen.

Wohngebäude-AVB: typische Inhalte

Dauer und Ende des Vertrages

„Der Vertrag ist für den Versicherungsschein angegebenen Zeitraum abgeschlossen.“

„Bei einer Vertragsdauer von mindestens 1 Jahr verlängert sich der Vertrag um jeweils 1 Jahr. Er verlängert sich nicht, wenn einem der Vertragsparteien spätestens 3 Monate vor dem Ablauf der jeweiligen Vertragslaufzeit eine Kündigung zugegangen ist.“

„Bei einer Vertragsdauer von mehr als 3 Jahren, kann der Versicherungsnehmer den Vertrag zum Ablauf des dritten Jahres oder jedes darauffolgenden Jahres kündigen; die Kündigung muss dem Versicherer spätestens drei Monate vor dem jeweiligen Ablauf des jeweiligen Jahres zugegangen sein.“

Kündigung nach Versicherungsfall

„Nach dem Eintritt eines Versicherungsfalls kann jede der Vertragsparteien den Versicherungsvertrag kündigen.“

Veräußerung und deren Rechtsfolgen

„Wird die versicherte Sache vom Versicherungsnehmer veräußert, so tritt der Erwerber zum Zeitpunkt des Eigentumsübergangs … in die während der Dauer seines Eigentums aus dem Versicherungsvertrag sich ergebenden Rechte und Pflichten des Versicherungsnehmers ein.

„Der Versicherer ist berechtigt, dem Erwerber gegenüber den Versicherungsvertrag mit der Einhaltung seiner Frist von einem Monat in Textform zu kündigen.“

Schwintowski sieht aus mehreren Gründen Unzulässigkeit

Darf sich nun ein Versicherer auf Basis der oben auszugsweise wiedergegebenen AVB über „gleichförmige Massenkündigungen“ von seinem gesamten Wohngebäudebestand oder auch nur großen Teilen desselben trennen? Schwintowski kommt insbesondere zu folgenden Ergebnissen:

  • Allgemeine Bedingungen der Wohngebäudeversicherung, die das Recht zur ordentlichen Kündigung nach Ablauf eines Jahres nicht ausdrücklich enthalten, sondern stattdessen von einer stillschweigenden Verlängerung ausgehen, „sind überraschend, intransparent und folglich unwirksam“.
  • Massenkündigungen mit dem Ziel der Bestandsauflösung „beinhalten einen Rechtsformenmissbrauch und sind deshalb unwirksam“.
  • Massenkündigungen mit dem Ziel der Bestandsauflösung oder einer großen Bestandsreduktion in der Wohngebäudeversicherung „sind in Ermangelung eines Sachgrundes weder mit den Grundsätzen von Treu und Glauben noch mit dem Schädigungsverbot des § 226 BGB in Einklang zu bringen und deshalb unwirksam“.
  • In ihnen sei auch eine Umgehung der „für diese Fallgestaltungen vorgesehenen Regelungen der Bestandsübertragung in § 13 VAG“ zu sehen, weshalb sie unwirksam seien.
  • In dieser Umgehung liege zugleich ein Missbrauch nach § 294 Absatz 3 VAG.

Diese Normen zum Schutz der Versicherten bewirkten über § 823 Absatz 2 BGB, dass etwaige ausgesprochene Kündigungen mit dem Ziel der Bestandsauflösung unwirksam seien.

Wirth: „Bafin muss einschreiten“

„Das Vorgehen einzelner Versicherer bringt Vermittler in unmögliche Situationen und hinterlässt Kunden völlig unvorbereitet in einer Lage, in der sie ohne Versicherungsschutz dastehen oder deutlich höhere Prämien zahlen müssen“, sagt Norman Wirth, geschäftsführender Vorstand des AfW. „Die Bafin muss einschreiten, um solche Praktiken sofort zu unterbinden.“

Anstelle von Massenkündigungen stehe Versicherern die Bestandsübertragung gemäß § 13 VAG zur Verfügung, so der AfW. Dieses Verfahren gewährleiste, dass die Interessen von Versicherern, Versicherten und Vermittlern berücksichtigt werden.

„Sollten Versicherer dennoch versuchen, Massenkündigungen umzusetzen, drohen rechtliche Konsequenzen“, fügt der AfW hinzu. „Unwirksame Kündigungen führen dazu, dass die betroffenen Verträge fortbestehen. Zudem könnten Versicherer Schadensersatzansprüche seitens der Versicherten ausgesetzt sein.“

Das vollständige Gutachten kann als PDF-Dokument (459 KB) von der AfW-Website heruntergeladen werden.

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